(erschienen im Wiesbadener-Tageblatt)

Mit Großvaters Victoria fing alles an

In 30 Jahren mit den Motorradfreunden Miehlen viel erlebt und gesehen / Zusammenhalt

Vom 07.01.2008

Mit Mitgliedschaften in diversen Gemeinschaften hat jeder seine eigenen Erfahrungen gemacht. In einer dreiwöchigen Serie verraten die Tagblatt-Macher ganz persönliche Erlebnisse aus ihrem Leben in Vereinen.

 

Kreta ist Lieblings-Urlaubsziel von Alfred Christ. Mit dem Motorrad (hier vor der malerischen Kulisse der alten Hafenstadt Rethymno) hat er die große griechische Insel abseits vom Massentourismus kreuz und quer erkundet. Besonders die Schotterpisten durch die atemberaubenden Berge, wo noch Adler und Geier kreisen, haben es ihm angetan. Auch für einige seiner Vereinsfreunde hat er hier schon Fremdenführer auf zwei Rädern gespielt.Foto: privat

Von

Alfred Christ

"Es gab so viele Autos, so schön und groß - das Motorrad aber lässt ihn nicht los" - dieser Refrain eines Liedes kommt mir immer in den Sinn, wenn ich mal wieder über mein Lebenshobby sinniere. Wie sich das so im Laufe der Jahre und Jahrzehnte entwickeln würde, ahnte ich allerdings noch nicht, als ich - kaum dem Säuglingsalter entwachsen - erstmals mit dem Motorrad in Berührung kam: Auf dem Tank der 250er Victoria Aero meines Großvaters in meinem Geburts- und Heimatort Miehlen im Nassauer Land. Inzwischen bin ich seit dreißig Jahren aktives Mitglied in einem Verein mit dem schönen Namen "Motorradfreunde Miehlen" (MFM).

Es war die Erkenntnis, dass man ganz einfach eine gewisse Organisationsstruktur benötigt, um dauerhaft etwas auf die Beine zu stellen, die letztlich nach langen und kontroversen Diskussionen von einer losen Interessengruppe zu einem organisierten Verein führte. In diesem Jahr veranstalten die Motorrad-Freunde Miehlen ihr 30. "Schinderhannes"-Motorradtreffen (19. bis 21. September), und allein das zeigt schon, die Entscheidung einen "e.V." zu gründen und diesem beizutreten, war goldrichtig. Noch immer ist eine Kerntruppe aus den Anfangsjahren aktiv bei der Sache. Und wenn wir bei den monatlichen Stammtischabenden beim Bierchen zusammenhocken und von legendären Motorrad-Touren und Treffen schwadroniert wird, weht Benzin- und Zweitaktdunst durch den Raum.

Das Treffen

Über die ganze Zeit hinweg aber stand ein Ereignis immer im Mittelpunkt aller Vereinsaktivitäten: das jährliche Schinderhannes-Motorradtreffen am dritten Septemberwochenende. Das bedeutet für uns Aktive im Verein einige Tage und Wochen harte Arbeit. Abseits vom Ortsrand muss ein großes Zelt aufgestellt, die komplette Infrastruktur mit Strom- und Wasserversorgung aufgebaut, der (vereinseigene) Toilettenwagen in Position gebracht und angeschlossen werden. Hier bewährt sich die jahrelange Übung und Zusammenarbeit. Jeder weiß, wo er was zu machen hat, jeder arbeitet freiwillig und mit enormem Engagement, und auch sehr viele Nicht-Vereinsmitglieder helfen wie selbstverständlich mit. Wenn dann die Band loslegt, das mächtige Lagerfeuer prasselt, das große Zeltlager aufgebaut ist und hunderte von Besuchern aus ganz Deutschland, manchmal auch noch einige aus dem benachbarten Ausland, Spaß haben, hat sich die Arbeit gelohnt. Da steh´ ich auch gern etliche Stunden nachts schweißtriefend am Holzkohlengrill.

Wenn die Gäste alle wieder abgereist sind, beginnt Teil zwei der Arbeit. Die ganze Infrastruktur muss zurück, das Zelt abgebaut, das gesamte Material wieder ordentlich gewartet und verstaut werden - einsatzbereit fürs nächste Jahr. Ohne die Organisationsstruktur eines Vereins hätte das über die Jahre hinweg wohl kaum funktioniert. Und ich muss sagen, ich bin gern und mit Überzeugung in diesem Verein und stolz auf ihn, denn ich bin ein Teil von ihm.

Mit der Victoria fing alles an

Wie schon erwähnt, mit einer Victoria fing alles an. Zunächst mit kurzen Touren auf dem Tank zwischen Großvaters starken Armen. Später dann bei größeren Touren zwischen Opa und Oma auf dem Denfeld-Schwingsattel. An die Fahrt im Winter 1956 nach Kaub an den zugefrorenen und mit mächtigen Eisschollen bedeckten Rhein kann ich mich heute noch erinnern. So mit 14, 15 Jahren dann die ersten eigenen Fahrversuche mit alten Mopeds auf Feldwegen. Später wurde auch heimlich die Victoria aus der Werkstatt geholt, über die Mühlbachbrücke geschoben und dann im Feld angekickt (aua, mein Schienbein!).

Endlich mit 16 der Führerschein Klasse "vier", und mit einer alten Herkules, später einer Zündapp ging es offiziell in Wiesbaden und Umgebung auf Tour. Klar, dass ich gleichzeitig mit dem Autoführerschein auch die Klasse eins gemacht Mein Vereins-Leben

habe. Mit dem ersten Motorrad, einer wassergekühlten 175er Zündapp, erweiterte sich der Aktionsradius gewaltig - und damit auch die Möglichkeit, mit Gleichgesinnten größere Touren zu unternehmen. Kaum ein Wochenende im Sommer, an dem ich nicht mit den Freunden vom MFM auf Achse war. Sechs Jahre lang war ich mit Freunden nur per Motorrad im Urlaub unterwegs. Alpen, Südfrankreich, Pyrenäen vom Atlantik bis zum Mittelmeer, Griechenland und Kreta - ohne das Motorrad hätte ich vieles nicht erlebt und gesehen. In manchen Jahren habe ich mehr Kilometer auf zwei Rädern geschrubbt als mit dem Auto.

Im Gasthaus-Brauerei (!) Schneider in Essing im Altmühltal fielen wir jahrelang in Vereinsstärke ein. Dass Motorradfahrer auch segeln können, bewiesen wir auf dem Topgaffelzeilschoner "Zuidersee" bei Törns auf dem Ijsselmeer und nach England bei Windstärke sieben. Immer wieder ein Erlebnis die Ostertouren nach Ihorst bei Staphorst (Holland) zu den "Friends" und die tagelangen 1.-Mai-Feiern im Miehlener Wald.

Touren bei Eis und Schnee

Mit der Vereinsgründung gingen regelmäßige Treffen in unserem Vereinslokal einher, bei denen die nächsten Aktionen ausgeheckt wurden. Legendär die eine Tour an Ostern in den Teutoburger Wald zum Hermannsdenkmal. Das erreichten wir im Schneesturm, hausten dann mehrere Tage auf einem verschneiten Campingplatz bei Minustemperaturen in Zelten und kamen trotzdem wieder heil und kerngesund daheim an. Unvergessen auch die Teilnahme an der Schwarzpulver-Rallye in Hammelbach/Odenwald. Tagelang waren wir zuvor bei Schnee und Eiseskälte Ende Februar unterwegs (ich inzwischen mit der vom Großvater geerbten Victoria!), um die Rallye-Aufgaben zu lösen. In Hammelbach dann eine eiskalte Zeltnacht im Schnee, Schießen mit Schwarzpulver-Flinten - der MFM haarscharf am ersten Mannschaftspreis vorbei. So etwas prägt sich ein, schweißt zusammen.

Reges Vereinsleben

Für alle Vereinsmitglieder und Helfer gibt es zu Jahresbeginn immer eine große Fete mit wechselndem Motto beim Essen und der Kostümierung. Im Laufe des Jahres wird dann eine Wein-, manchmal auch eine Schnapsprobe (oder beides zusammen) durchgeführt (natürlich per Bus, nicht mit Motorrad). Touren und Grillen steht im Sommer auf dem Programm, und zum Saisonabschluss Ende Oktober eine 100-Kilometer Nachtfahrt - egal was für ein Wetter herrscht.

Am Dorfleben in Miehlen beteiligen sich die Motorradfreunde (und damit natürlich auch ich, trotz des offiziellen Wohnsitzes in Wiesbaden) bei jeder sich bietenden Gelegenheit - und sei es nur, um bei anderen Festen für erhöhten Bierumsatz zu sorgen. Allerdings stellen wir am Wochenende der Oktoberkerb an einem Abend eine komplette Thekenmannschaft (hinterm Tresen!) und beim sonntäglichen Festzug zur Kerb wartet man schon gespannt darauf, was sich die "Motorradbouwe" diesmal wieder haben einfallen lassen.

Ich muss sagen, es macht einfach Spaß, in so einer Gemeinschaft dabei zu sein - und das nunmehr seit gut 30 Jahren. Ich kann´s kaum fassen, aber so vergeht die Zeit.

 

Ende der Serie